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Fotostrecke: Mozart an der Platte

Foto: GREG BAKER/ ASSOCIATED PRESS

Abschied von Tischtennis-Legende Waldner Mozart geht vom Tisch

Jan-Ove Waldner ist ein Idol im Tischtennissport. Der Schwede hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Heute absolviert der 50-Jährige bei seinem Heimatverein Sparvägens BTK sein allerletztes Ligaspiel.

Als Jan-Ove Waldner sein erstes EM-Finale erreicht hat, war Helmut Schmidt noch Bundeskanzler. Und Deutscher Fußballmeister war der HSV. Der Hamburger SV. Das sollte ausreichen, um die historische Dimension deutlich zu machen.

Jan-Ove Waldner, genannt der Mozart des Tischtennis. Wenn es angebracht ist, den Begriff der Legende einzuführen, dann bei ihm. Waldner ist mittlerweile 50, das Bäuchlein über der Tischtennisplatte ist nicht zu übersehen, aber immer noch hat der alte Mann Woche für Woche die Bälle hin- und hergeschlagen. Bis zu diesem Abend. Heute absolviert Waldner bei seinem alten Heimatverein Sparvägens BTK sein allerallerletztes Ligaspiel. Der "Tagesspiegel" hat getitelt, damit gehe jetzt "das 20. Jahrhundert zu Ende".

Nur mal kurz aufgezählt: Sechs Mal Weltmeister, zehnfacher Europameister, Olympiasieger 1992 in Barcelona, sieben Mal hat er das Ranglistenturnier Top Twelve gewonnen. Druckt man sich die Liste seiner Erfolge aus, erhält man vier eng bedruckte Seiten. Als er 1997 den WM-Titel gewann, verlor er auf dem Weg zu Gold keinen einzigen Satz.

Seit 1980, seit er 15 Jahre alt war, hat er den Beruf Tischtennisspieler. Ein Jahr später gewann er sein erstes großes Turnier. Als Prämie bekam der Teenager ein Auto. Ein Hauptpreis, mir dem er damals so wenig anfangen konnte wie heute. Waldner hat keinen Führerschein.

Waldner hat Tischtennis neu erfunden

Sein Spiel, diese Varianz zwischen Tempotischtennis und Defensivspiel, sein berühmter Unterschnitt, der ihm half, 1992 die Olympische Goldmedaille zu erringen - Waldner hat den Tischtennissport revolutioniert. Alle haben über die Jahre seinen Instinkt gelobt, seine Gabe, die Schwächen eines Gegners sofort zu erkennen und auszunutzen. Keiner war darin so konsequent, so unerbittlich.

Auch noch in einem Alter, in dem andere längst ihre Nach-Karriereplanung vorangetrieben haben. 2004 war er bei den Sommerspielen von Athen noch einmal ins Halbfinale vorgedrungen, er hatte auf dem Weg dahin nicht nur Deutschlands Tischtennisstar Timo Boll ausgeschaltet, sondern auch den hohen Favoriten Ma Lin aus China. Waldner war damals 38. Unfassbar eigentlich.

Wie es sich für ein echtes schwedisches Sport-Idol gebührt, redet Waldner nicht viel. Wie Björn Borg, wie Ingemar Stenmark. Fußballstar Zlatan Ibrahimovic fällt da markant aus der Reihe. In der Heimat lieben sie solche Schweige-Typen, in einer Umfrage wurde Waldner zum zweitgrößten Sportler Schwedens aller Zeiten gewählt. Nur Stenmark steht über ihm.

Zurückhaltend im Interview, geradezu stoisch an der Platte, dazu dieses undurchdringliche Bubigesicht - gelebt jedoch hat Waldner anders. Er hat die Privilegien seines Ruhms durchaus genossen, bei Partys war er nie der Erste, der gegangen ist. Und manchmal hat sich dieses Leben auch gegen ihn gewandt. Ein Zocker ist Waldner gewesen, nicht nur bis an die Grenze des Krankhaften, auch darüber hinaus. Viele seiner Prämien sind beim Glücksspiel draufgegangen, irgendwann ging es nicht mehr, Waldner hat seine Spielsucht therapieren lassen.

In China genießt er höchsten Respekt

In Schweden ist er dennoch ein Held, aber nicht nur dort. Geliebt wurde und wird Waldner auch in China, dem Land des Volkssports Tischtennis. Nie hatten die Chinesen solch einen hartnäckigen und ernsten Gegner. Keiner hat sie nicht nur so herausgefordert, Waldner hat die Superstars aus China in seiner besten Zeit düpiert. Was sie auch taten, was sie auch austüftelten - der Eisblock aus Schweden auf der anderen Seite der Platte hatte die bessere Antwort.

Noch heute genießt er in China den höchsten Respekt. Als einer von wenigen Ausländern bekam er die Konzession, in Peking eine Bar zu eröffnen. 2013 widmete ihm die chinesische Post eine eigene Briefmarke. Das war bisher noch überhaupt keinem Nicht-Chinesen vergönnt gewesen. Sie haben ihm den Ehrentitel "Lao Wa" verliehen, das heißt: Der immer blühende Baum.

Heute ist Waldner ein gut verdienender Geschäftsmann, und auch das hat viel mit China zu tun. Schwedische Unternehmen wie Ikea nutzen seinen Namen und seine Kontakte, um auf dem fernöstlichen Markt zu punkten. Waldner hat sich das gut bezahlen lassen, er hat ausgesorgt. Das können auch nicht viele Tischtennisspieler von sich behaupten.

In der deutschen Bundesliga war er die Attraktion, in den Achtzigerjahren beim damaligen Top-Klub ATSV Saarbrücken, fast 20 Jahre später dann in der Provinz beim den wenig weltläufig klingenden Vereinen SV Weru Plüderhausen und dem TTC Rhön-Sprudel Fulda-Maberzell. Gewonnen hat Waldner natürlich auch dort das meiste, was es zu gewinnen gab.

Mit Waldner geht der Letzte der großen Schweden. Mit seinen Kumpels Jörgen Persson und Mikael Appelgren hat er diesen Sport beherrscht, er hat mitgeholfen, ihn zeitweilig aus der Nische hervorzuholen. "Am Donnerstag mache ich mein letztes Pflichtspiel", hat er bei Facebook schlicht gepostet. Ein Satz ohne jedes Tamtam, ohne jedes Pathos, ohne alles Gedöns. Ein Satz wie Jan-Ove Waldner.

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